Ich bin in erster Linie dafür bekannt, Let’s Plays von Spielen anzufertigen, die mit dem RPG Maker erstellt wurden. Da nicht jedem meiner Zuschauer bewusst ist, was diese Software ist, wie sie funktioniert und wie so eine kleine Software eine verhältnismäßig große Szene begründete, habe ich diesen Artikel geschrieben.
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Was ist der RPG Maker?
Der RPG Maker ist eine Softwarereihe, die es auch unerfahrenen Spieleentwicklern ohne Programmierkenntnisse erlaubt, eigene Videospiele zu erschaffen.
Seit den späten Achtzigerjahren veröffentlicht die ASCII Corp. (später: Enterbrain) in regelmäßigen Abständen eine Fülle an in Form und Funktionsumfang höchst unterschiedlichen Programmen, die neben dem PC auch den Weg auf die populären Konsolen ihrer Zeit fanden.
Diese Software war zunächst lediglich in Japan und anderen Teilen Asiens verfügbar. Wie gelang es einer obskuren japanischen Software also, eine bis heute aktive Fanszene auch im deutschsprachigen Raum aufzubauen?
Der RPG Maker 2000
Im Jahre 2000 übersetzte ein russischer Programmierer unter dem Pseudonym Don Miguel die damals aktuellste Version der Software in die englische Sprache. Auch Fan-Übersetzungen früherer Versionen der Software wurden im Internet zirkuliert, doch erst Don Miguels Übersetzung des RPG Maker 2000 verbreitete sich wie ein Lauffeuer, auch hierzulande.
Denn: Don Miguel teilte die Software, die in Japan kommerziell vertrieben wurde, kostenlos über das Internet. Auch zu Zeiten von Einwählmodems und ISDN war es damals kein Problem, das mit rund 20 MB kompakte Programm herunterzuladen und weiterzuverbreiten.
Die deutsche RPG Maker-Szene
Schnell sprossen weltweit Fan-Communitys aus dem Boden, die sich über die Software austauschten, Tipps und Techniken teilten sowie ihre eigenen Projekte der Welt vorstellten.
In Deutschland konzentrierte sich die Szene auf diese drei Portale:
- RPG-Maker.com, heute: RPG-Atelier
- RPG-Maker-Quartier
- RPGMaker2000.de, heute: RPGa.info
Man kann davon ausgehen, dass sich zur Blütezeit alleine in Deutschland eine fünfstellige Zahl an Leuten via Communitys vernetzte, selbst Spiele entwickelte oder sich zumindest die Software installierte.
Langsam wurde auch die Presse darauf aufmerksam und berichtete darüber, Printmagazine wie die Bravo Screenfun oder die Computerbild Spiele publizierten die Top-Games der Szene gar auf ihren Heft-CDs. Das führte zu einem regelrechten RPG-Maker-Boom, der gerade in den Jahren 2002 und 2003 zuverlässig neue Interessenten in die Foren spülte.
Was kann die Software?
Das hängt von der gewählten Version ab.
Die populärsten RPG Maker erinnern von der Gestaltung und den grafischen Möglichkeiten an späte SNES- oder PSX-Spiele, die auf Pixelgrafik basieren. 3D wurde von den für PC verfügbaren RPG Makern meines Wissens noch nicht realisiert.
Die gesamte Oberfläche ist geradlinig aufgebaut und klar strukturiert. Sowohl das Script System als auch der Tile Editor lassen sich auch von Menschen ohne Programmiererfahrung bedienen, was meinem zwölfjährigen Ich natürlich sehr gut gefiel.
Eine Reihe an Beispielgrafiken und -sounds sind in das System integriert (das sogenannte Run-Time-Package, kurz RTP) und können beliebig erweitert werden, solange man sich an das entsprechende Format hält.
Das größte Problem der Software war gleichzeitig ihr größtes Feature: Durch die sehr starken Limitationen konnten unerfahrene Game Designer schnell beeindruckende Resultate erzielen, die Software blieb so aber relativ unflexibel, denn erst mit dem 2005 erschienen RPG Maker XP war es möglich, selbst Code einzufügen. Das hinderte einige findige Entwickler:innen aber nicht daran, das Standard-Kampfsystem kurzerhand durch ein eigenes, komplexes System zu ersetzen – wenn man die begrenzten Möglichkeiten des Systems bedenkt, eine beachtliche Leistung.
Wenn die Software so populär war, warum habe ich von den Spielen der Szene nie etwas gehört?
Das hat eine Reihe an Gründen. Für jemanden, der noch nie mit der Software gearbeitet hat, fällt es schwer, RPG Maker-Spiele als solche zu identifizieren. Es ist also durchaus möglich, dass du ein RPG Maker-Spiel gespielt hast, ohne es zu wissen.
Besonders populäre Spiele der deutschen RPG Maker-Szene hießen zum Beispiel Vampires Dawn, Unterwegs in Düsterburg, Die Reise ins All, Eternal Legends oder Velsarbor. Das international bekannteste RPG Maker-Spiel ist wohl To the Moon. Ja, richtig! Der Indie-Hit wurde mit dem RPG Maker entwickelt, wenn auch mit einer späteren Version.
Ein weiterer Grund ist das geringe Alter und der limitierte Erfahrungsschatz der Entwickler:innen. Viele scheiterten daran, sich bis zur Vollendung des Projektes zu motivieren. So kam es, dass die Diskrepanz zwischen Demos – also unfertigen Spielen – und Vollversionen besonders hoch war.
Demos vs. Teaser
Die RPG-Maker-Szene nutzt das Wort “Demo” anders als der Rest der Spieleindustrie. Während dort “Demo” in der Regel ein in Länge und/oder Funktionsumfang limitierter Einblick in ein vollständiges Spiel ist, sind Demos in der RPG Maker in erster Linie spielbare Teaser, die den momentanen Stand der Entwicklung wiedergeben. Viele Spiele wurden nie zu Ende entwickelt, sodass sie nie über diesen Demo-Status zur Vollversion reifen konnten.
Dazu kam, dass ein Verkauf oder eine anderweitige Monetarisierung der Spiele aufgrund der rechtlichen Lage nicht möglich war – zumindest zu der Höhephase der RPG-Maker-Szene. Da eine solche Spieleentwicklung gerne mal einen Großteil der Freizeit einnahm, war es für die meisten Spieleentwickler einfach nicht rentabel genug. Viele zog es danach in die Mobile-Game-Entwicklung oder hin zu anderen, kommerziell nutzbaren Toolkits.
Ist das ganze legal?
Hier ist das Problem: Eben nicht.
Die Übersetzung Don Miguels, sowie der kostenlose Vertrieb über das Internet waren in keiner Weise autorisiert. Jede Version des RPG Makers war also de facto eine Raubkopie und nicht, wie anfangs kolportiert, Freeware.
Dazu kam, dass viele der im Spiel verwendeten Grafiken aus anderen kommerziellen Spielen stammten. Projekte, in denen sich Tilesets aus Chrono Trigger, Secret of Mana oder Final Fantasy wiederfanden, gab es zuhauf.
Keine Rechtsberatung
Zwar habe ich diese rechtliche Einschätzung sorgfältig recherchiert, ich bin aber kein Jurist und daher qualifiziert dieser Absatz nicht als juristisch fundierte Aussage oder Beratung.
Als ASCII aufmerksam wurde, welche Erfolgsstory diese illegale Fan-Übersetzung hatte, reagierten sie zweierlei:
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Sie drohten rechtliche Schritte gegen diejenigen an, die ihre Software zum kostenlosen Download anboten.
Dies führte dazu, dass von einem Tag auf den anderen der RPG Maker von allen seriösen Downloadportalen verschwand und sich nur noch im Bereich der Online Piracy wiederfand, wo er – fairerweise – auch immer schon hingehörte. -
Sie kündigten an, zukünftige Versionen des RPG Makers auch in englischer Lokalisierung anzubieten und international zu vermarkten. Das hat bis heute Bestand, siehe die aktuelle Version.
Gibt es die RPG Maker-Szene noch?
Ja und nein.
Es gibt immer noch Menschen, die mit der Software arbeiten, Spiele erstellen und sich und ihre Projekte austauschen. Auch ist mit dem RPG-Atelier eines der großen deutschen Portale noch immer in Betrieb, wenn auch die Besucherzahlen stetig schrumpfen. Mit dem Gamedev Café gründete sich erst kürzlich eine neue Community, die sich mit der Erstellung von Spielen mit den neueren Versionen der Software drehte.
Doch zumindest im deutschsprachigen Raum hat die Community ihren Zenit überschritten und auch das hat mehrere Ursachen.
Zunächst baute viel des Charmes der Software auf der freien Verfügbarkeit und den Tausch von Software und Assets (Grafiken, Sounds, Musik). Wer wollte, konnte sich das Programm herunterladen und mit ein paar Tutorials direkt loslegen. Eine starke Community beantwortete Fragen und gab konstruktive Kritik zu eigenen Projekten.
Andererseits hat sich auch die Spielewelt seit dem stark verändert. Online-Vertriebsplattformen wie Steam, Origin oder der Epic Store haben die Zugangswege zu Low-Price-Titeln extrem vereinfacht. Spiele mit Retro-Ästhetik sind insbesondere im Indie-Sektor populär und die schier unendliche Vielfalt an verfügbaren Games macht diese zweifelsohne liebevoll entwickelten Amateur-Projekte letztendlich nicht mehr konkurrenzfähig.
Warum also RPG Maker-Spiele let’s playen?
Drei Gründe:
- Als Hommage an die RPG-Maker-Szene, in der ich fünf Jahre meines Lebens zubrachte und einige Kontakte und Freundschaften schloss, die bis heute Bestand haben.
- Weil alle diese Spiele Unikate und wahre Herzensangelegenheiten sind, die abseits von kommerziellen Faktoren und überhasteten Deadlines unter großem Aufwand erstellt wurden. Das sind Spiele von Gamern für Gamer – im puristischsten Sinn.
- Weil viele der Projekte aufgrund der mangelnden Erfahrung der Entwickler:innen eine ungewollt humoristische Komponente haben. Die bis zum Erbrechen auszureizen, ist mein erklärtes Ziel.
Interesse geweckt? Dann schaut euch hier eine Playlist mit allen RPG-Maker-Spielen an, die ich auf dem Kanal gespielt habe.